Fachtagung des Forums Verkehrssicherheit am 30.11.2023

„Alter Dorfkrug Staffelde“ ("Alter Dorfkrug Staffelde" , Staffelder Dorfstraße 18-19, 16766 Kremmen OT Staffelde)

Verkehrssicherheit und Digitalisierung

Fachtagung des Forums Verkehrssicherheit des Landes Brandenburg am 30. November 2023 in Kremmen

Die Digitalisierung im Bereich des Straßenverkehrs bringt verschiedene Chancen und Risiken für die Verkehrssicherheit mit sich. In der Fachtagung des Forums Verkehrssicherheit zum Thema „Verkehrssicherheit und Digitalisierung“ wurden aktuelle Entwicklungen aufgegriffen und ihre Auswirkungen erörtert. So wurde die Ablenkung durch digitale Medien, die digitale Verkehrsinfrastruktur und ihre Bedingungen sowie die praktische Arbeit mit Daten thematisiert. Weiterhin wurden Chancen und Risiken des Einsatzes von KI mit Blick auf die Verkehrssicherheit diskutiert.  

Die Fachtagung wurde hybrid, also vor Ort in Kremmen und digital per Videokonferenz, durchgeführt. Durch die Veranstaltung und ihr vielseitiges Programm führte Moderator Uwe Madel.

Grußwort des Staatssekretärs

Staatssekretär Uwe Schüler, Ministerium für Infrastruktur und Landesplanung (MIL), eröffnete die Fachtagung mit einem Grußwort. Er betonte die große gesellschaftliche Bedeutung des Tagungsthemas. Dies gilt nicht nur für Brandenburg, sondern vielmehr für die ganze Welt. Die Verantwortlichen in Brandenburg müssen sich den mit den Entwicklungen einhergehenden Herausforderungen stellen, wenn die sich bietenden Chancen erfolgreich genutzt werden sollen.

Herr Schüler wies auf Anwendungsbereiche der Digitalisierung im Straßenverkehr hin. So können tägliche Verkehrswege durch Fahrerassistenzsysteme sicherer und komfortabler gestaltet werden. Weiterhin können Mobilitätsangebote bedarfsorientierter und damit flexibler wahrgenommen werden, was die allgemeine Effizienz des Straßenverkehrs erhöht. Grundlage möglicher Verbesserungen sind die von technischen Geräten und Fahrzeugen erfassten Daten. Aber wem gehören diese Daten, wie können sie erlangt und wie genutzt werden?
Die Verkehrssicherheit wird ein zentrales Thema bleiben, solange es Fahrzeugmobilität gibt. Das Nachlassen in diesem Bereich ist keine Option. Veranstaltungen wie die Tagung des Forums Verkehrssicherheit dienen der gegenseitigen Verknüpfung von Digitalisierung und Verkehrssicherheit.

Herr Schüler deutete an, dass die Ziele des aktuellen Verkehrssicherheitsprogramms bis zum Zielhorizont nicht vollständig umgesetzt werden können. Es ist deshalb wichtig, ausgehend von einer umfassenden Bestandsaufnahme neue, realistische Ziele für die Zukunft zu fassen. Der Staatsekretär dankte allen an der Verkehrssicherheitsarbeit beteiligten Personen und ihren Organisationen und erinnerte daran, dass auch das MIL erhebliche Steuermittel in die Verkehrssicherheitsarbeit investiert hat. So wurde beispielsweise die Kampagne „Lieber sicher. Lieber leben.“ finanziert, um die Menschen im Land für das Thema zu sensibilisieren.

Ablenkung beim Fahren durch digitale Funktionen und Medien

Greta Große von der Unfallforschung der Versicherer (UDV) verdeutlichte die Gefahren von Ablenkung im Straßenverkehr am Beispiel des Autoverkehrs. Dabei ging sie insbesondere auf die Ablenkung durch digitale Medien wie Smartphone oder Fahrzeugsteuerung ein. Umfragen belegen, dass bereits viele Menschen durch Ablenkung am Steuer in gefährliche Situationen geraten sind. Es lässt sich jedoch schwer feststellen, in welchem Umfang Ablenkung tatsächlich zu Verkehrsunfällen führte. Schätzungen gehen davon aus, dass sie bei jedem vierten Verkehrsunfall eine Rolle spielt. Zwar gibt es inzwischen die Möglichkeit, Ablenkung bei der Verkehrsunfallaufnahme als Unfallursache zu benennen. Die Dunkelziffer ist aber vermutlich sehr hoch.

Frau Große wies darauf hin, dass die menschliche Aufmerksamkeit in Verhältnis zum Anforderungslevel steht. So sinken Konzentration und Leistungsfähigkeit bei Unterforderung, bei anspruchsvollen Situationen steigen sie. Zwar ist die Stärke der Ausprägungen individuell, grundsätzlich lässt sich diese Dynamik aber zweifelsfrei feststellen. Routiniers etwa fällt die Fahrzeugsteuerung leicht: Sie fühlen sich im alltäglichen Verkehrsgeschehen eher unter- als überfordert. Da der Mensch grundsätzlich einem mittleren Anforderungslevel zustrebt, sucht er sich in diesem Fall eine Nebentätigkeit. Das Ziel ist eine optimale Reizstimulation. Da den Menschen etwa durch Fahrerassistenzsysteme zunehmend Aufgaben abgenommen werden, wenden sie ihre Aufmerksamkeit verstärkt ablenkenden Nebentätigkeiten zu. Selbst beim hochautomatisierten Fahren wird eine menschliche Unterstützung benötigt werden: Die Systeme müssen kontrolliert und überwacht werden, in Sondersituationen soll der Mensch das Steuer wieder übernehmen können. Tritt dieser Fall dann tatsächlich ein, ist davon auszugehen, dass der „Fahrer“ überfordert sein wird. Eine angemessene Reaktion ist dann eher unwahrscheinlich, was ein erhöhtes Unfallrisiko zur Folge hat.

Frau Große stellt die drei Arten der Ablenkung vor: Visuelle Ablenkung (z. B. Blick auf Handy), Kognitive Ablenkung (z. B. Gespräche) und Manuelle Ablenkung (z. B. Bildschirm einstellen). So wird z. B. die Ablenkung durch das Telefonieren mit Freisprecheinrichtung nur reduziert, aber nicht vermieden. Insgesamt hat die sprachliche Kommunikation gegenüber der Nutzung von Apps und Sozialen Netzwerken oder dem Schreiben von Nachrichten an Bedeutung verloren. Dieser Trend lässt sich über die verschiedenen Altersgruppen hinweg beobachten. Zwar fiel die Zunahme bei jüngeren Menschen erwartungsgemäß am stärksten aus. Aber auch mittlere und ältere Altersgruppen sind betroffen. So gaben auch Über-70-Jährige an, während der Fahrt gelegentlich Soziale Medien zu nutzen. Von einer weiteren Verstärkung des Trends ist auszugehen. Auch gibt Frau Große zu bedenken, dass bei solchen Umfragen ein Teil der Befragten durch den öffentlichen Konsensdruck sozial erwünscht antwortet, auch wenn dies nicht der tatsächlichen Meinung entspricht.

Ein weiteres Gefahrenpotential liegt in Designentscheidungen der Fahrzeughersteller begründet. So erfordern Fahrzeugfunktionen, die über Bildschirme gesteuert werden, eine höhere Aufmerksamkeit als solche, die über haptisch wahrnehmbare Knöpfe oder Hebel bedient werden. Frau Große spricht sich in diesem Zusammenhang für eine stärkere Normierung und eine Ausweitung der Vorgaben aus. Eine Sprachsteuerung wäre aus Sicht der Verkehrssicherheit sehr wünschenswert.

Die Sanktionierung von ablenkenden Tätigkeiten ist schwierig. So ist es zwar grundsätzlich denkbar, den Fahrzeuginnenraum zu überwachen, um beispielsweise die vorschriftswidrige Handybenutzung zu erfassen. Jedoch widerspräche dies dem berechtigtem Anspruch der Insassen auf Datenschutz und Privatsphäre. Erfolgversprechender schätzt Frau Große die öffentliche Einflussnahme auf Kinder und Jugendliche ein, um sie für die Gefahren von Ablenkung zu sensibilisieren.

KI – basiertes System für vernetzte Mobilität

Christian Wille vom Deutschen Zentrum für Luft- und Raumfahrt (DLR) stellte das Projekt „KI-basiertes System für vernetzte Mobilität (KIS’M)“ vor. Dabei handelt es sich um ein Nachfolgeprojekt der vorausgehenden Projekte „Safari“, „See-Meile“ und „Shuttles & Co“, die ebenfalls auf dem Digitalen Testfeld Stadtverkehr in Berlin angesiedelt waren. „KIS’M“ wurde im Januar 2022 gestartet und hat eine Projektlaufzeit von 39 Monaten. Das Projektvolumen beträgt 9,5 Millionen Euro.

Das in und um den ehemaligen Flughafen Tegel zur Verfügung stehende KIS’M-Testfeld umfasst 26 Lichtsignalanlagen, 3,5 Kilometer Autobahnstrecke und eine vielfältige urbane Infrastruktur einschließlich Stadtstraßen, Radwegen, Busspuren oder unmarkierten Parkstreifen. Ziel des Projektes ist es, den autonomen, fahrerlosen und bedarfsgerechten Shuttle-Betrieb unter Berücksichtigung des neuen Straßenverkehrsgesetzes (StVG) voranzubringen. Dafür soll beispielsweise die nahtlose Vernetzung in einem zukunftsorientierten Mobilitätssystem erprobt werden. Weiterhin sollen die Verkehrssicherheit und der Verkehrsfluss in dem künftig zu erwartenden Mischverkehr (manuell gesteuerte und (teil-)autonome Fahrzeuge) verbessert werden. Zudem sollen kooperative Manöver getestet und gesellschaftliche Zielvorstellungen an eine künftige Mobilität erfasst werden. Weitere Projektsäulen sind die technische Aufsicht für einen hochautomatisierten ÖPNV und die KI-basierte Aktualisierung von Verkehrsinformationen. Grundsätzlich sollen die zu entwickelnden Shuttle-Busse nicht über längere Distanzen zum Einsatz kommen. Anvisiert ist ein Einsatz für die „letzte Meile“, also das letzte Stück eines zurückzulegenden Weges.

Herr Wille berichtete über die bereits erreichten Zwischenergebnisse des Projektes. So konnte die Übertragung von koordinierenden Nachrichten für Fahrmanöver (MCM) erfolgreich getestet und ein Workshop zur zugehörigen Semantik durchgeführt werden. Weiterhin wurden etwa Workshops zur Routenwahl durchgeführt, insbesondere in Bezug auf die Sicherheit, die Streckenbeschaffenheit und die App-Anforderungen (z. B. Sprachausgabe und Synchronisation mit Smartwatch).  

Abschließend gab Herr Wille einen Ausblick zu anstehenden Herausforderungen und Aufgabenbereichen. Es sollen etwa Feldversuche mit der Wahrnehmungs-App gestartet sowie die Szenarien und Beschreibungen der Technikvariante weiterentwickelt werden. Weiterhin sollen Online-Fragebögen erstellt sowie weitere Software-Möglichkeiten für die Netzwerkerstellung und Kriterienbearbeitung geprüft werden.

Künstliche Intelligenz für die Verkehrssicherheitsarbeit

Dr. Peter Wagner vom Deutschen Zentrum für Luft- und Raumfahrt (DLR) verdeutlichte, wie sicher der Straßenverkehr bereits heute ist: In Deutschland wurden im Jahr 2022 rund 721 Milliarden Kilometer zurückgelegt, wobei rund 2.406.000 Unfälle geschahen. Dabei führten rund 288.000 zu Personenschaden, 2.788 Menschen starben. Das heißt: Nur alle 300.000 Kilometer geschieht statistisch gesehen ein Verkehrsunfall, alle 2,5 Millionen Kilometer ein Unfall mit Personenschaden und alle 259 Millionen Kilometer ein Unfall mit Todesfolge.

Viele Fahrfehler führen nicht zu Unfällen, wenn sie durch andere Menschen, technische Vorkehrungen oder durch eine günstige Infrastruktur kompensiert werden. Welche Situationen und Verhaltensweisen schlussendlich zu einem Verkehrsunfall führen, sind deshalb bis zu einem bestimmten Grad zufällig. Das heißt aber nicht, dass nichts getan werden kann, um die Verkehrssicherheit zu erhöhen.

Herr Wagner präsentiert verschiedene Vorschläge, die der Forscher Rune Elvik für Norwegen gemacht hat: Geschwindigkeitsbeschränkungen (z. B. Tempo 50 bei sich kreuzenden Kraftverkehrsströmen) sowie eine sicherheitsorientierte Straßengestaltung (z. B. Mittelteiler ab Tempo 70) und ein zufriedenstellender Straßenunterhalt (z. B. Instandhaltung von Straßenmarkierungen). Wenn diese Vorschläge umgesetzt werden, würde sich die Verkehrssicherheit deutlich erhöhen. Doch würden auch die damit einhergehenden Einschränkungen und Kosten in Kauf genommen werden? Grundsätzlich stellt sich die Frage, wie ein vernünftiger demokratischer Prozess aussieht, bei dem niemand sich übermäßig benachteiligt fühlt.

Die Entwicklungen der Künstlichen Intelligenz haben der Verkehrssicherheitsarbeit ein weiteres Werkzeug für ihren Werkzeugkasten verschafft. Zu große Hoffnungen darauf würden aber zu Enttäuschungen führen. Herr Wagner stellte in diesem Zusammenhang das Projekt „K14Safety“ vor. Grundgedanke war es, die KI anhand von Luftaufnahmen inkl. Unfalldaten zu trainieren. Das Ergebnis war nicht sonderlich überraschend: Die KI stellte fest, dass mehr Autos auf mehr Verkehr und damit auf mehr Unfälle schließen lassen. Trotz solcher trivialen Erkenntnisse wurde das Projekt fortgesetzt und weiterentwickelt. Ein Ergebnis ist etwa die Erkenntnis, dass Kreisverkehre mit rotmarkierten Übergängen unsicherer sind als Kreisverkehre ohne Markierung. Herr Wagner wies in diesem Zusammenhang darauf hin, dass aufgrund der festgestellten Korrelation nicht automatisch auf eine Kausalität geschlossen werden kann. Vielmehr kann es auch sein, dass die Kreisverkehre aufgrund ihrer Gefährlichkeit eingefärbt wurden und auch nach der Einfärbung immer noch gefährlich waren. Die Entwicklung zu zunehmend KI-betreutem Fahren befürwortete Herr Wagner, auch wenn er bei der Zuverlässigkeit noch deutlichen Verbesserungsbedarf sieht. Wichtig ist vor allem, dass die KI das menschliche Verhalten nachzuvollziehen lernt.

Wem gehören die Daten bei Verkehrsunfällen?

Peter Schlanstein von der Hochschule für Polizei und öffentliche Verwaltung NRW betonte die große Bedeutung von Daten für die polizeiliche Verkehrsunfallaufnahme. Grundsätzlich liegt die Zahl der bei Verkehrsunfällen getöteten Personen deutlich über der Zahl der bei Gewaltdelikten getöteten. Die Unfallursachen lassen sich dabei vor allem auf den Faktor „Mensch“ zurückführen: Für etwa 91 Prozent der registrierten Verkehrsunfälle sind Verhaltensfehler und Regelmissachtungen ursächlich. Zeugenaussagen zu Unfällen sind tendenziell unzuverlässig, weshalb eine Erhöhung der Datenqualität durch einen Datenspeicher („blackbox“) seitens der Polizei wünschenswert ist. Viele Pkw besitzen solch ein Gerät schon. Fahrerassistenzsysteme, Kameras, Radargeräte usw. sammeln und verarbeiten bereits heute gewaltige Datenmengen. Durch diese Daten lassen sich Ursachenzusammenhänge für das konkrete Unfallgeschehen aussagekräftig objektivieren.

Herr Schlanstein äußerte sich außerdem über die Eigentumsrechte an gesammelten Daten: Eigentum und Besitz sind nur in Bezug auf körperliche Objekte möglich. Immaterielle Informationen gehören deshalb niemandem. Die Datenschutz-Grundverordnung (DSGVO) bezieht sich nicht auf personenbezogene Daten, welche von Behörden für die Verhütung, Ermittlung, Aufdeckung oder Verfolgung von Straftaten oder der Strafvollstreckung eingesetzt werden sollen. Weiterhin dürfen personenbezogene Daten auch dann verarbeitet werden, wenn ein anderes berechtigtes Interesse das Datenschutzinteresse überwiegt. Aufgrund der geringen Eingriffsintensität und der Anlassbezogenheit ist dies bei Unfalldaten die Regel. Grundsätzlich müssen Opferschutz, Beweisführung und persönlicher Datenschutz gegeneinander abgewogen werden. Die Aufzeichnung der Fahrweise durch eine Autokamera (dashcam) ist aktuell nicht erlaubt, wird aber vor Gericht als Beweismittel zugelassen. Mit dem Gesetz zum automatisierten Fahren der Bundesregierung ist eine allgemeine Datenaufzeichnung nicht beabsichtigt.  

Abschließend legt Herr Schlanstein Optimierungsbedarfe bei der Verkehrsunfallaufnahme dar: Aufgrund der neuen EU-Bestimmungen ist der „event data recorder“ (EDR, System zur Aufzeichnung unfallbezogener Informationen vor, während und nach einem Unfall) für eine Reihe von Verkehrsunfallsituationen ohne weiteres nicht mehr nutzbar. Dazu gehören etwa Mehrfachkollisionen mehrerer Fahrzeuge, Unfallfluchten von Kollisionen mit Objekten, Rotlichtverstöße mit Unfallfolge sowie die Zuordnung der Blaulicht-Signalgebung zum Fahr- und Kollisionsvorgang.

Ein weiterer wichtiger Faktor für eine erfolgreiche Tatbestandserforschung ist die Sachkundigkeit der eingesetzten Polizeikräfte. So setzt die Polizei bei der Verkehrsunfallaufnahme Spezialkräfte ein, die im Rahmen eines spezifischen Lehrgangs geschult wurden. Diese können zwar keinen Sachverständigen ersetzen, aber sachkundig arbeiten. Dadurch können etwa 60 Prozent der Daten ausgewertet werden. Wenn die Polizei alle Daten auswerten könnte, würden sich die Sachverhalte teilweise anders darstellen als heute. Das hätte auch Einfluss auf die Entscheidungen der Gerichte.

Möglichkeiten und Grenzen der Datenauswertung bei Verkehrsunfällen

Mike Ringe von der DEKRA Oranienburg erläuterte, welche Fahrzeugdatenarten es gibt bzw. welche für die Datenauswertung bei Verkehrsunfällen relevant sind. Dabei unterteilte er in fahrzeuginterne Daten (z. B. Fehlerspeicherinformationen) und fahrzeugexterne Daten (z. B. Handyvideos). Erlangt werden können die Fahrzeugdaten über das Auslesen der Fahrzeugsteuergeräte (sog. Freeze-Frame-Daten), der Unfalldatenspeicher (UDS), Autokameras, Handykameras sowie der EDR-, Radar- und Navigationssysteme. EDR-Systeme beginnen die Datenspeicherung ca. fünf Sekunden vor einem Ereignis und beenden sie bis zu zwei Sekunden danach. Während dieses Zeitraums werden beispielsweise die Geschwindigkeit, die Gaspedalstellung, der Bremspedalstatus, die Motordrehzahl, die Gurtschlösser, die Airbag-Warnlampe, Zündungszyklen sowie Überschlagsdaten erfasst. Die Speicherung kann permanent bzw. überschreibbar erfolgen.

Beispielhaft schilderte Herr Ringe den Fall eines BMW-Fahrers, der beim Linksabbiegen mit einem anderen Fahrzeug kollidierte, von der Fahrbahn abkam und einen Zaun durchschlug. Der BMW-Fahrer wurde als Verursacher definiert, die weiteren polizeilichen Ermittlungen richteten sich gegen ihn. Der Fahrzeughersteller BMW wurde mit dem Auslesen der Steuergerätedaten beauftragt. Die ermittelten Geschwindigkeitsdaten waren jedoch höchst unplausibel. In der Folge konnte festgestellt werden, dass sie nicht mit der tatsächlichen Fahrgeschwindigkeit übereinstimmten. Dies belegt, dass digitale Fahrzeugdaten immer der sachverständigen Interpretation und Prüfung auf Plausibilität mit den übrigen festgestellten Tatortspuren bedürfen. Die Fahrzeugdaten können die herkömmliche Unfallaufnahme daher nur ergänzen, nicht aber ersetzen. Besonders für die Justiz sind die zusätzlichen Informationen maßgeblich bei der Aufklärung von Straftaten im Straßenverkehr. Herr Ringe spielte hierzu die Videoaufnahmen einer Autokamera an, die die Geschwindigkeitsüberschreitung eines Fahrers dokumentierte. Noch während der Aufnahme stritt der Fahrer sein Fehlverhalten ab, was ebenfalls aufgezeichnet wurde.

Fahrzeughersteller sind hinsichtlich der Ermöglichung der behördlichen Datenauswertung und ihren Folgen eher zurückhaltend, da sich die gespeicherten Daten gegen die jeweils fahrende Person richten können. Allerdings können die erfassten Daten auch das Fehlverhalten anderer Personen dokumentieren und so entlastend wirken. In Deutschland ist der Zugang zu diesen Daten teilweise möglich. Insbesondere beim automatisierten Fahren ist es von erheblicher Bedeutung zu dokumentieren, welche Aktivitäten die fahrende Person und welche das Fahrzeug eingesteuert hat.

Podiumsdiskussion: Künstliche Intelligenz – Chance oder Risiko für die Verkehrssicherheit?

In einer abschließenden Podiumsdiskussion sprachen die Vortragenden über Chancen und Risiken der Künstlichen Intelligenz für die Verkehrssicherheit. Herr Wagner wies etwa darauf hin, dass es keine gemeinsame Basis der Hersteller gibt, was die Verwendung der Daten betrifft. Die grundsätzliche deutsche Strategie sieht er als vorteilhaft an: Lieber soll zögerlich vorgegangen werden, als dass nach dem amerikanischen Modell von Versuch und Irrtum unsichere Lösungen marktfähig werden. Herr Wille befürwortete den Einsatz Künstlicher Intelligenz im Straßenverkehr, sieht aber Probleme bei Datenschutz und -auswertung. Die Potentiale der KI können nur dann zum Tragen kommen, wenn diese Probleme gelöst werden. Auch Herr Ringe geht von einer positiven Entwicklung aus, wenn die Umsetzung richtig angegangen wird. So können untereinander vernetzte Fahrzeuge beispielsweise besser auf Staus reagieren. Grundlage ist jedoch eine umfangreiche Kommunikation zwischen den Herstellern. Die Markendefinition sollte im Falle eines zuverlässigen Systems dann nicht mehr über die Technik erfolgen, sondern, so überhaupt nötig, auf anderen Gebieten. Die entsprechenden Systeme sollten erst dann in den Markt eingeführt werden, wenn sie zielgemäß funktionieren. Ansonsten kann das Vertrauen der Menschen in bestimmte Systeme verloren gehen. Hier nannte Herr Ringe beispielhaft den Umgang mit Abbiegeassistenten: Sind deren Sensoren zu sensibel, werden die Systeme ausgeschaltet oder ignoriert. Eine zu frühe Einführung bestimmter Technologien sieht er auch aus wirtschaftlichen Aspekten als nachteilig an: Ein Systemversagen mit Unfallfolge wäre äußert geschäftsschädigend. Herr Schlanstein verwies auf die Erhöhung der Verkehrssicherheit in den letzten Jahrzehnten, zu denen die technische Entwicklung der Fahrzeuge viel beigetragen hat. Er geht deshalb von einer weiteren Verbesserung der Verkehrssicherheit durch fortschrittlichere Technik aus. Mindeststandard automatisierter Fahrfunktionen muss der Mensch sein. Bis dieser Standard in der Praxis sicher erreicht wird, ist es ein langer Weg. Ein weiterer wichtiger Aspekt ist die Berücksichtigung der Cybersicherheit, also die Vorbereitung gegen äußere Störaktionen. Weiterhin wird die Einführung autonomer Fahrzeuge zu einem Mischverkehr führen, in dem autonome Fahrzeuge auch mit analog gesteuerten Fahrzeugen umgehen können müssen. Der Fahrschulunterricht soll nach Meinung von Herrn Schlanstein vermitteln, wie der Mensch in einer kritischen Situation das Fahrzeug wieder übernehmen und sicher steuern kann. Eine Beeinflussung der Fahrzeug- und Anlagensteuerung durch Hackerangriffe kann zwar nicht ausgeschlossen werden, jedoch äußerten Herr Wagner und Herr Wille sich dahingehend, dass dies durch den geringen zu erwartenden Nutzen unwahrscheinlich ist. Im Fokus von Hackerangriffen stünden vor allem die lukrativeren Angriffe auf Unternehmen. Herr Schlanstein sieht eine entsprechende Sicherung der Funktionen als äußerst wichtig an. An der Verhinderung von Einflussmöglichkeiten, beispielsweise auf Polizeifahrzeuge, muss fortwährend gearbeitet werden. Einen absoluten Schutz sieht auch er nicht. Eine konkrete Prognose, wann autonome Fahrzeuge verfügbar sein werden, konnten und wollten die Diskutierenden nicht treffen. Den Einsatz von Prototypen bewerteten sie in 5 bis 15 Jahren als realistisch.

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