Ablenkung beim Fahren durch digitale Funktionen und Medien
Greta Große von der Unfallforschung der Versicherer (UDV) verdeutlichte die Gefahren von Ablenkung im Straßenverkehr am Beispiel des Autoverkehrs. Dabei ging sie insbesondere auf die Ablenkung durch digitale Medien wie Smartphone oder Fahrzeugsteuerung ein. Umfragen belegen, dass bereits viele Menschen durch Ablenkung am Steuer in gefährliche Situationen geraten sind. Es lässt sich jedoch schwer feststellen, in welchem Umfang Ablenkung tatsächlich zu Verkehrsunfällen führte. Schätzungen gehen davon aus, dass sie bei jedem vierten Verkehrsunfall eine Rolle spielt. Zwar gibt es inzwischen die Möglichkeit, Ablenkung bei der Verkehrsunfallaufnahme als Unfallursache zu benennen. Die Dunkelziffer ist aber vermutlich sehr hoch.
Frau Große wies darauf hin, dass die menschliche Aufmerksamkeit in Verhältnis zum Anforderungslevel steht. So sinken Konzentration und Leistungsfähigkeit bei Unterforderung, bei anspruchsvollen Situationen steigen sie. Zwar ist die Stärke der Ausprägungen individuell, grundsätzlich lässt sich diese Dynamik aber zweifelsfrei feststellen. Routiniers etwa fällt die Fahrzeugsteuerung leicht: Sie fühlen sich im alltäglichen Verkehrsgeschehen eher unter- als überfordert. Da der Mensch grundsätzlich einem mittleren Anforderungslevel zustrebt, sucht er sich in diesem Fall eine Nebentätigkeit. Das Ziel ist eine optimale Reizstimulation. Da den Menschen etwa durch Fahrerassistenzsysteme zunehmend Aufgaben abgenommen werden, wenden sie ihre Aufmerksamkeit verstärkt ablenkenden Nebentätigkeiten zu. Selbst beim hochautomatisierten Fahren wird eine menschliche Unterstützung benötigt werden: Die Systeme müssen kontrolliert und überwacht werden, in Sondersituationen soll der Mensch das Steuer wieder übernehmen können. Tritt dieser Fall dann tatsächlich ein, ist davon auszugehen, dass der „Fahrer“ überfordert sein wird. Eine angemessene Reaktion ist dann eher unwahrscheinlich, was ein erhöhtes Unfallrisiko zur Folge hat.
Frau Große stellt die drei Arten der Ablenkung vor: Visuelle Ablenkung (z. B. Blick auf Handy), Kognitive Ablenkung (z. B. Gespräche) und Manuelle Ablenkung (z. B. Bildschirm einstellen). So wird z. B. die Ablenkung durch das Telefonieren mit Freisprecheinrichtung nur reduziert, aber nicht vermieden. Insgesamt hat die sprachliche Kommunikation gegenüber der Nutzung von Apps und Sozialen Netzwerken oder dem Schreiben von Nachrichten an Bedeutung verloren. Dieser Trend lässt sich über die verschiedenen Altersgruppen hinweg beobachten. Zwar fiel die Zunahme bei jüngeren Menschen erwartungsgemäß am stärksten aus. Aber auch mittlere und ältere Altersgruppen sind betroffen. So gaben auch Über-70-Jährige an, während der Fahrt gelegentlich Soziale Medien zu nutzen. Von einer weiteren Verstärkung des Trends ist auszugehen. Auch gibt Frau Große zu bedenken, dass bei solchen Umfragen ein Teil der Befragten durch den öffentlichen Konsensdruck sozial erwünscht antwortet, auch wenn dies nicht der tatsächlichen Meinung entspricht.
Ein weiteres Gefahrenpotential liegt in Designentscheidungen der Fahrzeughersteller begründet. So erfordern Fahrzeugfunktionen, die über Bildschirme gesteuert werden, eine höhere Aufmerksamkeit als solche, die über haptisch wahrnehmbare Knöpfe oder Hebel bedient werden. Frau Große spricht sich in diesem Zusammenhang für eine stärkere Normierung und eine Ausweitung der Vorgaben aus. Eine Sprachsteuerung wäre aus Sicht der Verkehrssicherheit sehr wünschenswert.
Die Sanktionierung von ablenkenden Tätigkeiten ist schwierig. So ist es zwar grundsätzlich denkbar, den Fahrzeuginnenraum zu überwachen, um beispielsweise die vorschriftswidrige Handybenutzung zu erfassen. Jedoch widerspräche dies dem berechtigtem Anspruch der Insassen auf Datenschutz und Privatsphäre. Erfolgversprechender schätzt Frau Große die öffentliche Einflussnahme auf Kinder und Jugendliche ein, um sie für die Gefahren von Ablenkung zu sensibilisieren.